Gutem Projekt für Jugendliche in der Krise droht das Aus

Aachener Nachrichten vom 20. November 2015

Gutem Projekt für Jugendliche in der Krise droht das Aus

Jobcenter weist beachtliche Erfolge auf, doch im Mai ist Schluss. Es sei denn, die Politik stellt außerplanmäßig Geld bereit.

Von Jutta Geese

Städteregion. Scheitert die Fortsetzung eines von allen Seiten hoch gelobten Projekts für sozial benachteiligte und schwer in Ausbildung oder Arbeit zu vermittelnde Jugendliche daran, dass im städteregionalen Haushalt dafür kein Geld eingeplant ist? Im Sozialausschuss mochte sich am Mittwoch noch niemand aus dem Fenster hängen und klar sagen: Jawoll, wir wollen das Projekt haben und wir werden beantragen, dass dafür außerplanmäßig ab dem Jahr 2016 Mittel bereitgestellt werden. Aus den etwas verklausulierten Fragen an Stefan Graaf, Geschäftsführer des für das Projekt „Casemanagement“ zuständigen Jobcenters der Städteregion, ließ sich aber heraushören, dass zumindest SPD und FDP genau darüber ernsthaft nachdenken.

Worum geht es? Seit Mai vergangenen Jahres kümmern sich im Auftrag des Jobcenters Fachleute des Sozialwerkes Aachener Christen und des Vereins für allgemeine und berufliche Weiterbildung (VabW) Alsdorf um besonders problembeladene junge Leute, die Hartz-IV-Leistungen erhalten, aber – aus welchen Gründen auch immer – vom Jobcenter nicht mehr zu erreichen sind. Sie reagieren nicht auf Briefe, halten Terminvereinbarungen nicht ein, tauchen regelrecht ab. Sie in die Gesellschaft zurückzuholen, ihnen neue Perspektiven zu eröffnen, ist Ziel des Projektes.

Kern ist eine engmaschige, individuelle sozialpädagogische Begleitung der Jugendlichen, wenn nötig bis zu einem Jahr. Die pädagogischen Fachkräfte gehen auf diese Jugendlichen zu und bieten ihnen Hilfe an. Bei der aufsuchenden Sozialarbeit geht es nicht in erster Linie darum, die Jugendlichen in Arbeit und Ausbildung zu bringen, sondern „ihre Gesamtsituation zu stabilisieren“, sagte Graaf im Ausschuss. Dabei geht es um Sucht- und Schuldnerberatung, Klärung der Wohnsituation, Vermittlung von Therapien oder gesundheitliche Rehabilitationsmaßnahmen, die Lösung familiärer Probleme und bei dem ein oder anderen auch um Ärger mit Polizei und Justiz. Erst wenn die Gesamtsituation stabilisiert ist, geht es daran, schulische oder berufliche Perspektiven zu entwickeln.

Und da kann das Projekt erstaunliche Erfolge vorweisen: Von den 209 jungen Leuten, die bislang das Casemanagement durchlaufen haben und von denen die überwiegende Mehrheit noch keine Berufsausbildung hat, gehen inzwischen 23 wieder zur Schule und wollen ihren Abschluss nachholen; 18 Teilnehmer haben eine Arbeit aufgenommen und elf haben eine Ausbildung begonnen. „Mehr als wir zu hoffen gewagt hatten“, erklärte Graaf. 14 Teilnehmer besuchen eine Integrationsmaßnahme des Jobcenters, drei haben sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr entschieden, drei haben gar ein Studium aufgenommen. Fünf junge Leute sind langfristig erkrankt, elf haben eine (stationäre) Therapie begonnen, acht sind in Elternzeit.

Allerdings, stellte Graaf fest, „stoßen wir auch bei diesem niedrigschwelligen Angebot an Grenzen“. Will heißen: Trotz intensiver Bemühungen ist ein Teil der jungen Leute dauerhaft nicht zu erreichen. So haben 47 den Kontakt aus unterschiedlichen Gründen abgebrochen und zu 51 jungen Leuten konnte überhaupt kein Kontakt hergestellt werden. Aber für die anderen hat das Projekt Türen aufgestoßen. „Die Alternative wäre, sie versumpfen zu lassen in irgendwelchen Subsystemen.“

Das Problem jetzt ist: Das Projekt ist nur noch bis Mai kommenden Jahres finanziert. „Wir könnten im Februar 2016 die Option ziehen, es um zwei Jahre zu verlängern“, erklärte Graaf. Dazu bedürfe es nicht einmal eines neuen Antragsverfahrens. Allein, die Städteregion müsste zusichern, im nächsten Jahr 78 050 Euro, im übernächsten 133 800 Euro und im Jahr 2018 noch einmal 55 750 Euro beizusteuern. „Es gibt aber auch eine Ausschreibung des Bundes für eine ähnliche Zielgruppe. Wir schauen gerade mit den Trägern, ob wir uns da bewerben“, berichtete Sozialdezernentin Prof. Edeltraud Vomberg, Charme dieses neuen Projekts wäre aus städteregionaler Sicht, dass es die Städteregion nichts kosten würde. „Wir wissen aber nicht, ob die Träger den Zuschlag erhalten werden“, sagte Graaf. „Die Frage ist also: Was tun wir am klügsten?“

Die Vorsitzende des Sozialausschusses, Margret Schulz, brachte das Dilemma auf den Punkt: „Wenn wir den Zuschlag für das neue Projekt nicht erhalten und die Verlängerungsoption nicht ziehen, haben wir gar kein Projekt mehr. Richtig? Da müssen wir alle mal in Ruhe drüber nachdenken bis zur nächsten Sitzung.“

So lange Zeit lassen können sich die Politiker jedoch nicht. Die nächste Sozialausschusssitzung ist erst im März oder gar April 2016, die Verlängerung muss schon im Februar beschlossen sein.

Christoph Bosler von der Bezirksschülervertretung warb im Ausschuss eindringlich darum, so zu handeln, dass es auch in Zukunft ein niedrigschwelliges Angebot für solch problembelastete Jugendliche gibt. „Es geht doch um eine verhältnismäßig geringe Summe. Wenn wir deswegen die Jugendlichen im Regen stehen lassen müssten, fände ich das sehr enttäuschend.“

„Es geht doch um eine verhältnismäßig kleine Summe. Wenn wir deswegen die Jugendlichen im Regen stehen lassen müssten, fände ich das sehr enttäuschend.“

Christoph Bosle,
Bezirksschülervertretung

 

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