"Programme zur Selbsthilfe benötigt"

Aachener Zeitung Nordkreis vom 18. Mai 2024

Aachener Zeitung vom 18. Mai 2024

Aachener Zeitung vom 18. Mai 2024. Seite 12

Programme zur Selbsthilfe benötigt

Bildung und neue Chancen sind von Anfang an zentrale Themen des VabW, des Vereins für allgemeine und berufliche Weiterbildung. Dieser satzungsgemäße Auftrag gilt nach wie vor, dennoch hat sich seit dem Gründungsjahr 1984 vieles verändert.

VON ASTRID HILGERS
Nordkreis 
Rückblick in die 1980er Jahre: Im Wurmrevier werden die Zechen geschlossen, die Ära der Steinkohle geht zu Ende. Die Menschen verlieren ihre Arbeit im Bergbau, ihnen fehlen Perspektiven. Für Jugendliche fallen die Ausbildungsplätze weg, sie sehen für sich keine Zukunft. Ein Strukturwandel ist dringend erforderlich. Strukturwandel bedeutet auch, die Menschen fort- und auszubilden, sie müssen jetzt auf neue Anforderungen vorbereitet werden. Auf der Wurmrevier-Konferenz fällt dann ein richtungsweisender Entschluss: Die Kommunen wollen gemeinsam Probleme angehen und Konzepte entwickeln. So kommt es zur Gründung des interkommunalen Vereins für allgemeine und berufliche Weiterbildung (VabW) im Februar 1984.

Zehn Persönlichkeiten aus der regionalen Politik gründen zusammen mit dem damaligen Kreis Aachen und weiteren Kommunen den gemeinnützigen Verein, Firmensitz ist Alsdorf. Satzungsgemäß kümmert sich der Verein um die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Menschen in der Region. In einer Zeit, in der viele Arbeit suchen, es aber nur wenige Stellen gibt, erfüllt der VabW eine wichtige soziale Aufgabe. Frank Numan, heutiger Geschäftsführer, beschreibt den Verein in der Anfangszeit so: „Der VabW war ein hochspezialisierter Fachbetrieb für Aus- und Weiterbildung im Kontext des Strukturwandels in der Region Aachen, er bot den Menschen Lösungen an.“

Heute sei der VabW ein „hochspezialisierter Generalist“ im neuen Strukturwandel in der Städteregion Aachen, der den Menschen individuelle Wege ermöglicht: „Wir bieten keine Lösungen mehr an, sondern unterstützen die Menschen dabei, Lösungen selbstständig zu finden.“ So bringt Numan die Veränderungen auf den Punkt, die mit einer veränderten Gesellschaft einhergehen.

Wenn es vor 40 Jahren noch konkret um Ausbildung, Fort- oder Weiterbildung ging, werde heute in jedem Einzelfall geschaut, wo eine Person steht, damit ein vielschichtiges Programm zur Selbsthilfe maßgeschneidert angeboten werden kann. Numan: „Die Ratsuchenden sollen eigenständig Wege finden, statt nach fertigen Lösungen zu fragen.“ Die Situation der Menschen habe sich auch durch Globalisierung und Digitalisierung komplett verändert. „Das Thema Work-Life-Balance gab es vor 40 Jahren nicht. Heute sprechen wir auch über Schuldenberatung, Familienhilfe und Wohnsituation, nicht nur über Umschulung. Wir geben Orientierungshilfen in einer sehr komplexen Welt“, sagt Numan.

„Wir sind sehr gespannt darauf, wie die Bundesregierung die Haushaltsdebatten fortführt.“ Frank, Numan, Geschäftsführer des VabW 

 

Ein konkretes Beispiel verdeutlicht die komplexen Aufgaben des Vereins: ein noch nicht volljähriger, schulpflichtiger junger Erwachsener, der weder zur Schule geht noch zu irgendeinem Beratungstermin erscheint. Das Jobcenter beauftragt den VabW, sich um ihn zu kümmern. Niemand weiß, wo er steckt. Eine Sozialarbeiterin besucht die Familie, die Schule und Orte, wo sich Jugendliche aufhalten, z.B. eine Skaterbahn oder Clubs am Abend. Bis ein erster Kontakt entsteht, vergeht ein halbes Jahr. Der Jugendliche entwickelt mit der Zeit Vertrauen, er spricht über sein dringendstes Problem, die Überschuldung. Erst nach der Bewältigung des aktuellen Problems wird der Blick nach vorne gerichtet und überlegt, wie die Zukunft aussehen könnte.

Wirtschaftliche Grundlage des VabW ist in erster Linie die Finanzierung von Projekten durch Sozialleistungsträger. Der Verein bewirbt sich auf Ausschreibungen, im Falle des Zuschlags führt er das Projekt durch, das vom Auftraggeber finanziert wird. Daneben gibt es auch die Möglichkeit, für eine vom VabW entwickelte Projektidee einen Finanzierer zu suchen. Zu Rückschlägen kommt es immer dann, wenn durch politische Entscheidungen die Mittel für die Sozialleistungsträger gekürzt werden. Die unmittelbare Folge sind dann Auftragsverluste beim VabW. Die Leistungsfähigkeit des Vereins ist also davon abhängig, was die öffentliche Hand finanziert.

„Die Ratsuchenden sollen eigenständig Wege finden, statt nach fertigen Lösungen zu fragen.“ Geschäftsführer des VabW

 Aktuell beschäftigt der VabW 111 Mitarbeitende, vorwiegend hauptamtliche pädagogische Fachkräfte. Dazu kommen Honorarkräfte und Ehrenamtler. Kommunale und korporative Mitglieder sowie wenige persönliche Mitglieder unterstützen den Verein, dem Alsdorfs Bürgermeister Alfred Sonders vorsteht. Numan wünscht sich für den VabW mehr Planungssicherheit durch verlässliche Entscheidungen der Regierung. „Wir sind sehr gespannt darauf, wie die Bundesregierung die Haushaltsdebatten fortführt. Wenn unsere Finanzierungsträger nicht wissen, wie die Zukunft aussieht, haben wir als davon abhängiger Verein keine Chance.“

Quelle: Aachener Zeitung vom 18. Mai 2024

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