RESPEKT! - In kleinen Schritten Richtung Zukunft
In kleinen Schritten Richtung Zukunft
Bundespilotprojekt „Respekt!“ begleitet Jugendliche auf ihrem Weg. Drei Teilnehmer erzählen aus ihrem Leben.
VON JUTTA GEESE
STÄDTEREGION - Es gibt viele Ereignisse, die junge Menschen aus der Bahn werfen können: Gewalt oder Vernachlässigung im Elternhaus, Krankheit, psychisch kranke oder alkoholabhängige Eltern, Mobbing in der Clique, schulische Probleme oder das Gefühl, es niemandem recht machen zu können, nichts wert zu sein, nichts zu können. Meist kommen mehrere Dinge zusammen. Und irgendwann fallen die jungen Leute durch alle sozialen Netze. Sie lassen niemanden an sich heran, gehen nicht mehr zur Schule, schmeißen die Ausbildung, tauchen regelrecht ab und versuchen, irgendwie durchzukommen. Die gängigen Hilfesysteme erreichen sie nicht.
Anders ist das mit „Respekt!“ Das bundesweite Pilotprojekt (siehe Infokasten), das in der Städteregion mit einem eigenen Konzept umgesetzt wird, ist keine „Maßnahme“ im herkömmlichen Sinn mit festem Beginn, festem Ende und straff getaktetem Programm. „Respekt!“ arbeitet mit einem sehr individuellen Ansatz. Jedem Teilnehmer wird ein Sozialcoach zur Seite gestellt, der versucht, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aufzubauen. Gemeinsam formulieren sie Ziele und überlegen, welche Probleme zuerst angegangen werden.
Dabei gibt es keine Zeitvorgabe. „Die Begleitung dauert so lange, wie der Jugendliche und der Coach es für sinnvoll halten“, erklärt Ursula Graf vom Verein Sozialwerk Aachener Christen, der das Konzept gemeinsam mit dem Verein für allgemeine und beruflich Weiterbildung (VabW) entwickelt hat. Bei dem einen reichen fünf oder sechs Monate, andere brauchen ein Jahr lang die Gewissheit, dass jemand an ihrer Seite ist und ihnen durch Krisen hilft, einige auch länger. „Jeder kommt mit einem anderen Hintergrund zu uns. Manche mit einem ganzen Paket von Problemen“, sagt Ursula Graf. Und ihre Kollegin Tanja Derichs vom VabW ergänzt: „Es geht gar nicht um die großen Schritte, sondern um die kleinen.“ Und darum, dass die jungen Leute erkennen, dass die vielen kleinen Schritte große Erfolge für sie sind.
Ein Ansatz, der Erfolg verspricht. Etwa die Hälfte der inzwischen knapp 600 Teilnehmer seit Projektbeginn im April 2016 hat mit Hilfe von „Respekt!“ eine Anschlussperspektive gefunden, sagen Graf und Derichs. Ob sie es auch ohne das Projekt geschafft hätten? Verena (24), Jürgen (23) und Florim (18) sind sich sicher, dass sie ohne „Respekt!“ nicht da stünden, wo sie jetzt sind. Die drei sprechen offen über ihr Leben und ihre Erfahrungen mit dem Projekt, sie wollen jungen Leuten Mut machen, die sich in einer ähnlich vertrackten Lebenssituation befinden wie sie, als sie auf „Respekt!“ stießen.
Bei Verena kam alles „ganz langsam ins Rollen“, wie sie sagt. Sie hat gesundheitliche Einschränkungen, hat keinen Schulabschluss, war von Wohnungslosigkeit bedroht und hatte Schulden. „Und ich hatte kein Selbstbewusstsein“, sagt sie. Sie habe feststellen müssen, dass es gar nicht so einfach ist, selbstständig zu leben. Die Probleme wuchsen ihr über den Kopf, Verena suchte Hilfe, kam ins Betreute Wohnen, hatte wechselnde Betreuer, was sie überforderte und verunsicherte. „Ich wusste nicht mehr, was richtig und was falsch war“, sagt sie. Bei „Respekt!“ hatte sie dann eine Ansprechpartnerin, die ihr im Laufe der einjährigen Begleitung Sicherheit gab. „Sie war auch streng“, sagt Verena. „Es hat eine Zeit gedauert, bis ich gemerkt habe, dass sie mich nur aufrütteln will.“ Inzwischen fühlt sie sich gestärkt und selbstbewusst, besucht derzeit eine Produktionsschule teil und absolviert ein Praktikum bei der Caritas. Sie möchte gerne ihren Schulabschluss nachholen und eine Ausbildung machen. „Ich glaube nicht, dass ich alleine so schnell klargekommen wäre“, sagt sie. Wie viele andere Ex-Teilnehmer kommt sie immer noch hin und wieder zu Gesprächen mit ihrem Coach zu „Respekt!“. Auch das ist Teil des Projekts – die Begleitung der jungen Leute bei Bedarf auch nach dem offiziellen Ausscheiden.
Jürgen hat eine ähnliche Geschichte. Bei ihm zeigten sich schon früh Anzeichen einer Depression. Er berichtet von Sozialphobie, von Angstzuständen, davon, dass ihm schon als Kind andere Menschen fremd waren. Das habe sich durch die ganze Schulzeit gezogen, er habe an nichts Interesse gehabt. Nach der Schule – Jürgen hat den Hauptschulabschluss – habe er einfach alles laufen lassen, sagt er. Über das Sozialpsychiatrische Zentrum Stolberg hat er Hilfen erhalten, kam wegen drohender Obdachlosigkeit – bei seiner Familie konnte er nicht bleiben – ins Betreute Wohnen, was zunächst nicht gut klappte. Er ging zur Arbeitstherapie, brach diese aber nach einem halben Jahr ab, weil sie ihn nicht mehr genug forderte. Immer wieder hatte er Phasen, in denen er sich vollkommen zurückzog.
Vertrauen in eigene Fähigkeiten
Im Juni 2016 ist er zu „Respekt!“ gekommen. Seither begleitet ihn Katharina Kurek. Viele, viele Gespräche haben sie in den zwei Jahren geführt, Vertrauen ist gewachsen. Frau Kurek hat ihn unter anderem motiviert, einen Gitarrenkurs zu besuchen. Seine Mutter hat ihm ihre alte Gitarre geschenkt, das sei „ein schönes Erlebnis“ gewesen, sagt er. Seit eineinhalb Jahren ist Jürgen begeistert dabei. Früher hat er aus lauter Angst zu scheitern nichts Neues versucht.
Inzwischen hat er mehr Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten. „Das ist ein kleiner Wendepunkt in meinem Leben gewesen“, sagt er. Und er sagt, dass Frau Kurek es nicht immer leicht mit ihm hatte. Etwa, wenn er Termine nicht einhielt oder abtauchte. „Woran ich immer wieder verzweifle: Es gibt extrem gute Phasen und extrem schlechte.“ Frau Kurek sei auch in den schlechten Phasen da. „Als ich mal wieder abgetaucht war, hat sie immer wieder angerufen. Und weil ich nicht ans Telefon ging, stand sie irgendwann vor meiner Tür“, sagt er. „Respekt!“ habe ihm ermöglicht, sich überhaupt erst mal mit Zukunftsperspektiven auseinanderzusetzen. Einen großen Wunsch hat Jürgen: Er möchte eine Ausbildung als Tierpfleger oder Pferdewirt machen. Frau Kurek und seine Fallmanagerin im Jobcenter glauben, dass er das schaffen kann.
Auf einem guten Weg ist auch Florim. Er ist vor einem Jahr aus Berlin zu seiner Verlobten in die Städteregion gezogen. Seit einem halben Jahr ist er Vater eines Sohnes. In Berlin lief es nicht rund für ihn. Er hat keinen Schulabschluss, keine Berufsausbildung, war unzuverlässig, hielt Termine nicht ein, bekam Probleme mit der Polizei, machte Schulden. Mit dem Umzug in die Städteregion und dem Einstieg bei „Respekt“ kam die Wende. Sein Coach hilft ihm bei Anträgen und bei der Lebensplanung für seine kleine Familie. Florim ist in eine Produktionsschule eingebunden, stellt sich der Verantwortung für sein Leben. Seit er bei „Respekt“ sei, halte er Termine meistens ein. „Es ist echt anstrengend mit einem kleinen Kind, aber das ist das Beste, was mir passiert ist“, sagt er. Seine neue Familie habe ihm das Gefühlt gegeben, wichtig zu sein. „Das ist einfach nur schön“, sagt Florim. Zurzeit macht er ein Praktikum als Dachdecker, und das gefällt ihm sehr gut. Er würde gerne eine Ausbildung in dem Betrieb beginnen. Und seine Chancen stehen gar nicht schlecht.
Zukunft des Projekts ist ungewiss
Die Geschichten von Verena, Jürgen und Florim zeigen, wie wichtig ein Projekt wie „Respekt!“ ist. Die drei haben sich mit „Respekt!“ und viel Energie neue Perspektiven erarbeitet. Wie die Zukunft des Projekts aussieht, ist dagegen ungewiss. Die Finanzierung läuft Ende 2018 aus.